„Wir stehen zusammen!“

3000 Menschen demonstrieren gegen Antisemitismus, rechte Gewalt und die geistigen Brandstifter

Von Karl-Günter Balzer

 

Dirk Bamberger (CDU), Propst Helmut Wöllenstein, Monika Bunk, Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies (SPD), Stadtverordnetervorsteherin Marianne Wölk, Dr. Hamdi Elfarra (muslimische Gemeinde), Jan Schalauske (Linke)

 

 

Marburg. Der Terrorüberfall auf die Synagoge in Halle und der missglückte Versuch eines Massakers hat die Menschen in Marburg aufgerüttelt. Am vergangenen Samstag versammelten sie sich an der Synagoge in der Liebigstraße, zogen in einem Demonstrationszug an der Gedenkstätte für die 1938 in den Naziprogromen niedergebrannte Synagoge vorbei zu der Ausgrabungsstätte der mittelalterlichen Synagoge am Obermarkt. Vorneweg trugen Vertreter von Stadt, Parteien, jüdischer, christlicher und muslimischer Gemeinde ein Banner mit dem Motto der Demonstration: #Wir stehen zusammen.

 

„Wir sind erschüttert und verletzt, … denn dieser Angriff gilt uns allen. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und allen, die bedroht sind oder sich bedroht fühlen. Ihr sollt wissen: Wir stehen zu Euch“, erklärte Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD). Auch Propst Helmut Wöllenstein benannte Entsetzen und Scham darüber, was in Halle geschehen ist: „Ich schäme mich, in einem Land zu leben, von dem die größten antisemitischen Exzesse der Geschichte ausgegangen sind. Und jetzt, nach dem schleichenden Zunehmen des Antisemitismus in den letzten Jahren dieser Anschlag. In einer neuen Dimension, die es nach dem Naziterror so bei uns nicht gegeben hat.“ 

 

Monika Bunk, die 1. Stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Marburg beklagte, dass Antisemitismus nicht verstanden werde, wenn angesichts des rechtsextremen Terrors von einem Alarmzeichen geredete werde. „Das ist kein Alarmzeichen mehr, das ist die Katastrophe, vor der wir gewarnt wurden“, stellte Bunk fest. Sie verwies auf 2800 antisemitische Taten im Jahr 2018 und forderte, dass der Rechtsstaat endlich handelt und die bestehenden Gesetze anwendet. 

 

Auch Thomas Spies und Helmut Wöllenstein machten auf das geistige und gesellschaftliche Klima aufmerksam, das eine solche Tat erst ermöglicht habe. „Terroristen entstehen nicht aus dem Nichts und wer Hass säht trägt eine Mitschuld“, hielt Spies fest und beklagte den Hass, der in Talkshows und den sozialen Medien verbreitet wird. Das sah Propst Wöllenstein genauso und fragte: „Wie kann man denn in der AfD sagen: wir haben nichts damit zu tun und nennt doch vorher den Holocaust einen Vogelschiss der sonst ruhmreichen Deutschen Geschichte.“

 

Wie Bunk forderte Oberbürgermeister Spies zur Zivilcourage, zum Hinsehen, Reden und Handeln auf. Propst Wöllenstein konkretisierte das: „Wir müssen zusammenstehen, rausgehen, es zeigen, es sagen…Für eine offene Gesellschaft kämpfen, in der wir einander achten, schützen und unterstützen. Egal welche Kultur und Religion wir haben, Juden, Moslems, Christen oder ohne Religion. Friedlich kämpfend, werbend, überzeugend.“

 

Am vergangenen Mittwoch hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, in der rund 70 Menschen den wichtigsten jüdischen Feiertag Jom Kippur begingen. Es misslang, weil er die Tür nicht aufbekam. Daraufhin erschoss er zwei Passanten und verletzte ein Ehepaar schwer. Der 27-jährige gebürtige Deutsche sitzt in Untersuchungshaft. Er hat die Taten gestanden und mit antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven begründet.   (12.10.2019)