Von Henning Köster
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Eva Christiane Gottschaldt und Ehemann Peter Lob. (Foto: Karl-Günter Balzer)
Im Frühjahr 1997 war Eva Gottschaldt einige Tage bundesweit bekannt. Das
war, als mit ihr erstmals die damalige PDS, eine Quellpartei der heutigen
Partei Die Linke - genauer gesagt die PDS/Marburger Linke - in Fraktionsstärke
in ein westdeutsches Kommunalparlament einzog. Da gaben sich überregionale
Medien hier die Klinke in die Hand.
"Als parteilose Kommunistin und kirchenlose Christin kann ich jedenfalls tun, was
ich will. Was sie immerhin nicht will, ist in Marburg Revolution machen. Hier geht
es nicht um Volksaufstand, hier geht es um Verkehrsberuhigung"‚ wurde Eva damals
in der Süddeutschen zitiert. (SZ 7/3/97)
Und die taz (12/3/97) berichtete über sie :“...bis '91 DKP-Mitglied und ist bewusst
ausgetreten, definiert sich als ‚Christin und Marxistin‘ .Gearbeitet hat sie lange für
das Archiv der Verfolgten des Naziregimes. ‚Meine Lehrer waren die alten Antifa-
schisten. Aus der Schule komme ich und in der bleibe ich auch. Ich war eine
Gerechtigkeitsfanatikerin und habe meine religiösen Bezüge auf die Partei
übertragen.‘ Das hat nie ganz funktioniert und so erlebte Gottschaldt den Mauerfall
‚89als als richtig befreiend."
Ein Hintergrund, den sie übrigens mit Ulla Hahn, der bekannten und erfolgreichen
Schriftstellerin ihrer Generation teilt, die in ihrem neuesten Buch ‚Wir werden erwartet‘
eindrücklich ihre Entwicklungsgeschichte von einer gläubigen Katholikin hin zur DKP -
und dabei ebenfalls vor allem beeindruckt und geprägt von älteren Nazigegnern und
Antifaschisten - und dann dennoch wieder heraus aus dieser Partei schildert.
Evas Identität als Christin und Marxistin - so prononciert, selbstbewusst und kundig
bekannt, das war durchaus neu für die Marburger Linke und ein wenig gewöhnungs-
bedürftig. Es hat lange gedauert, bis ich mich als Fraktions- und Parteimitglied
nicht mehr fragte: Wem gehört eigentlich ihre vorrangige Loyalität - der Partei oder
der Evangelischen Kirche. Die Frage verblasste im politischen Alltag, weil beide
Seiten keinen wirklichen Anlass für Loyalitätskonflikte boten.
Vielmehr war und ist Evas starkes kirchliches Engagement für Flüchtlinge, in der
antirassistischen Südafrika-Solidarität, in Friedensfragen und solchen der sozialen
Gerechtigkeit, in der Zusammenarbeit verschiedener Religionsgemeinschaften
ein Türöffner für eine linke, undogmatische Wahrnehmung der Rolle der Evangelischen
Kirche in dieser Gesellschaft. Bündnismöglichkeiten in Fragen des Schutzes des
arbeitsfreien Sonntags und des arbeitsfreien Feiertages Buß- und Bettag taten sich auf .
Die Persönlichkeit und die Ausstrahlung von Evas guter Freundin, der Dekanin
Bundesmann-Lotz hat mich zusammen mit einer Schülergruppe junger Arbeitsloser
an der Seite von Rüdiger Stolzenberg vom DGB irgendwann Ende der 90iger Jahre
erstmals wieder in einen Gottesdienst jenseits von Trauerfällen geführt.
Und sie hat auch den Boden bereitet für die Gründung des Marburger "Arbeitskreises
linker Christen", die anfangs noch von einigen ein wenig argwöhnisch betrachtet, inzwischen
zu einem selbstverständlichen Bestandteil unseres Parteilebens geworden ist. Dazu gehörte
auch eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen eben nicht nur fundamentalistischen
Tendenzen innerhalb des Christus-Treffs.
Denn das war und ist an Eva immer zu bewundern: Wie sie die Schärfe politischer
Auseinandersetzung und Kritik auf der Grundlage ihrer wissenschaftlichen Analysefähigkeit
und ihres reichhaltigen Wissensschatzes stets zu kombinieren versteht mit der Aufforderung
zu differenzieren, genau hinzusehen, die Spreu vom Weizen zu trennen, sich nicht auf
vorschnellen Pauschalurteilen auszuruhen nach dem Motto "Die da! Die Verbindungen!
Die Burschenschaften!", sondern Selbstbild und Praxis ernst zu nehmen. Abgrenzungen nach
Rechtsaußen auch in konservativen Weltbildern wahr zu nehmen, sich zu trauen, diese
auch zu benennen und deshalb umso überzeugender zu sein.
Ohne Eva Gottschaldt, die immer gewaltlos in Worten und Taten agiert hat, gäbe es in dieser
Stadtgesellschaft und auch in der Stadtverordnetenversammlung bis weit in die bürgerlichen
Fraktionen hinein nicht dieses entwickelte und verankerte Bewusstsein über da reaktionäre,
nach Rechtsaußen ganz offene Weltbild bestimmter Burschenschaften. Wenn sie scharfzüngig
und fundiert zugleich sich zu diesem Thema äußerte, konnte man in den Sitzungen
eine Stecknadel fallen hören. So hat sie viel beigetragen zu dem wechselseitigen
Respekt, der die Atmosphäre in der Marburger Stadtverordnetenversammlung prägt.
Eva hat sehr früh schon die Themen ins Parlament hineingetragen, die sie als Vermächtnis
der Antifaschisten betrachtete und an denen außerparlamentarisch andere Gruppierungen mit
und ohne sie gearbeitet hatten, die Geschichtswerkstatt, die VVN u.a. Sie hat maßgeblichen Anteil daran, dass in dieser Stadt man endlich Anfang der 90iger Jahre begann, wesentlich konsequenter als zuvor die braunen Flecken der Geschichte Marburgs wahrzunehmen und anzugehen. Die Umbenennung des Demnitz-Weges, der jährliche Gedenktag für die deportierten Sinti und Roma, die individuelle Zwangsarbeiterentschädigung – um nur die wichtigsten Beschlüsse zu nennen- waren Evas Anliegen. Sie hat sie in unsere Fraktion getragen und dann in die Stadtverordnetenversammlung und diese hart sie mehrheitlich und bisweilen sogar einstimmig angenommen.
Ich habe Eva 1991 bei einer Demo gegen die Einschränkung des Asylrechts kennengelernt. Damals habe wir beide gesprochen. Ich war gerade Stadtjugendpfarrer geworden. Ab da sind wir uns oft über den Weg gelaufen, hatten in vielen Dingen ähnliche politische Ansichten. Und irgendwann wurde daraus eine Freundschaft. Als ich im Februar 2004 die Zeitschrift "Kirche in Marburg" übernahm, habe ich Eva in den Redaktionskreis geholt. Eva ist mir immer als fromme und zugleich linke Frau begegnet. Und beides gehört bei ihr zusammen. Mir hat immer ihr Humor und ihre treffende Flapsigkeit gefallen, mit der sie kirchliche und gesellschaftliche Merkwürdigkeiten sehr treffend aufspießen konnte. Ernster wird ihre Kritik immer, wenn es um gesellschaftliche Missstände geht. Besonders die Benachteiligten der Gesellschaft hat sie im Blick. Sie setzt mit großer Hartnäckigkeit für die Teilhabe von Behinderten und die Rechte von Homosexuellen ein. Obwohl nach außen oft eher spröde wirkend ist Eva ein Mensch voller Mitgefühl und Anteilnahme. Übrigens hat sie sich auch ganz toll um die sehr kranke Dekanin Bundesmann-Lotz gekümmert.
Bei der Verleihung war ihr anzumerken, wie sehr der Krebs an ihr gezehrt hat. Sie selbst sagte zu mir: "Ich habe ein wildes Tier in mir." Sie wirkte klein und zerbrechlich. Aber ihre Stimme und ihr Verstand waren klar und fest wie eh und je. Ich freue mich für sie und mit ihr und wünsche ihr von Herzen Gottes Segen.
Kally Balzer
Peter Hoppe (Sonntag, 29 April 2018 14:19)
„Grade, klare Menschen wär’n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat haben wir schon zu viel.“ Eva hat das Ziel erreicht. Respekt und weiter so