Historische Prügeleien, Würste und fromme Leute

 

Die Reformationszeit wurde in Marburg lebendig

Von Karl-Günter Balzer

Dekan Burkhard zur Nieden erzählt mit Hilfe der Schauspieler von den Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten im Jahr 1605 (Foto: Karl-Günter Balzer)

Marburg. Zu einer Zeitreise in die Zeit der Reformation hatten die lutherische Pfarrkirche St. Marien und der Fachdienst Kultur der Stadt Marburg eingeladen. Von Donnerstag (Fronleichnam) bis zum Sonntag wurden die Welt Martin Luthers und das 16. Jahrhundert lebendig. Auf dem Areal des lutherischen Kirchhof hatten die historischen Gruppen Fünf Schneeballen, Schedels Schwarzer Haufen und die Bretterner Landsknechte ihr Lager aufgeschlagen. Die 30 Spieler in historischen Kostümen ließen das Publikum am Leben des 16. Jahrhunderts teilhaben.  Dazu gab es Spielszenen, Handwerksvorführungen, Waffen- und Kampfübungen und eine Darstellung der Stadtgarde. Es gab Informationen zur Medizin im 16. Jahrhundert. An einer historischen Presse konnten die Besucher Zitate aus Luthers Bibelübersetzung drucken. Und wer wissen wollte, wie das 16. Jahrhundert roch, konnte das hinter der Kirche an einer Stinkstation erfahren, die vom Marburger Chemikum präsentiert wurde.

 

 

Ein Höhepunkt der Zeitreise war der Historische Gottesdienst am Sonntag. Viele Leute waren gekommen. In den ersten Reihen saßen die Spieler aus dem badischen Bretten in den historischen Kostümen. Pfarrer Ulrich Biskamp predigte zunächst reformatorisch und seelsorgerlich. Dann begann die Inszenierung: Seine Rede wurde lauter, schließlich schwärmerisch und aggressiv. Der zornige Widerspruch aus den Reihen der Schauspieler zwang ihn von der Kanzel und bildete den Übergang zu den Auseinandersetzungen in dieser Kirche im Jahr 1605. Dekan Burkhard zur Nieden erläuterte mit anschaulicher Hilfe der Schauspielergruppe den Widerstand der lutherischen Marburger gegenüber dem reformierten hessischen Landgrafen. Dieser hatte in der Pfarrkirche eine reformiere Geistlichkeit und Liturgie durchsetzen wollen. Dabei war nicht nur ein Pfarrer von der Kanzel geholt worden, sondern es hatte heftige Prügeleien gegeben.

 

 

Und dann gab es natürlich viel Luther: ein Weltmusikoratorium zu Luther, das Jean Kleeb geschrieben hatte, und das unter seiner Leitung von „Joy of Life“ aufgeführt wurde. Auf großes Interesse stieß Marc Becker Schauspiel „Wir sind Luther“, das im Rahmen des Theatersommers auf den nahegelegenen Marktplatz uraufgeführt wurde. Luthers Tischreden wurden lebendig vorgetragen. Und immer wieder wurde an das Marburger Religionsgespräch von 1529 erinnert, bei dem Luther und Zwingli aufeinander getroffen waren. Im Rahmen des Festes erhielt der Schweizer Reformator noch eine besondere Würdigung, indem die Treppe an der Lutherischen Pfarrkirche feierlich als Zwingli-Treppe eingeweiht wurde. Was für ein Widerspruch zu den Auseinandersetzungen von 1605.

 

Entspannt ging es auch im Biergarten auf dem Kirchhof beim Reformationsbier zu. Und einträchtig lagen auf dem Holzkohlegrill Lutherwürste (ohne Käse) und Zwingliwürste (mit Käse) nebeneinander. Geschmeckt haben sie beide. (21.06.2017)