Auftakt der Konferenz mit einer Andacht, die Propst Helmut Wöllenstein hielt. (Fotos: Karl-Günter Balzer)
Korbach. Es war ein echter Aufreger. In der Wahrnehmung von Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, war die Weihnachtspredigt gründlich danebengegangen und hatte ihm die Festtagsstimmung verdorben. Seiner Empörung machte er via Twitter Luft: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht.“ Tatsächlich hatte Steffen Reiche, Pfarrer in Berlin und ehemaliger Wissenschaftsminister in Brandenburg, etliche aktuelle politische und ethische Themen mit der Weihnachtsbotschaft in Verbindung gebracht. Für Poschardt war das zu viel, und über seinen Tweet entspann sich ein lebhafter Streit in den sozialen Medien und der Presse.
Was ist denn nun eine politische oder ethische Predigt? Gibt es Regeln dafür? Was ist notwendig? Was ist erlaubt? Was sollte besser vermieden werden? Was ist zu beachten? Die Pfarrerinnen und Pfarrer des Sprengels Waldeck und Marburg trafen sich auf Einladung von Propst Helmut Wöllenstein am Mittwoch (20.06.) in der Kilianskirche in Korbach, um über diese Fragen zu beraten. Pfarrer Lars Hillebold, neuer Leiter des Referates „Gottesdienst, Kirchenmusik und theologische Generalia“ zeigte im einleitenden Vortrag das Geschehen um Reiches Predigt und Poschardts Frust auf.
Hillebold verwies darauf, dass auch andere namhafte Repräsentanten der Evangelischen Kirche sich immer mal wieder mit ähnlicher Kritik wie Reiche auseinanderzusetzen hätten. Er selbst schloss sich dieser Kritik teilweise an und fragte in Richtung von Margot Käßmann und Heinrich Bedford-Strohm: „Wer sind sie, dass sie so scharf reden und über andere urteilen?“ Anderseits erkannte Hillebold an, dass das, was nicht gesagt werde, in der Öffentlichkeit durchaus als Zustimmung gewertet werden könnte. Scharf kritisierte Hillebold den erhobenen Zeigefinger, mit dessen Hilfe die Gemeinden pädagogisch belehrt werden. Mit Zitaten aus dem Popsong „Nur noch kurz die Welt retten“ spöttelte Hillebold über appellative Predigtsprüche wie „Wir müssen …!“, „Lasst uns …!“, „Könnten wir nicht alle …!“. Sein Fazit: „Solche Predigten wirken – und scheitern letztlich.“
„Wenn Liebe der Weg ist, dann werden wir unsere Schwerter und Schilder ablegen an das Ufer der Flüsse und werden sagen: Krieg? Nie mehr! – Wenn Liebe der Weg ist, dann …“. Hillebold zitierte aus der Traupredigt von Bischof Michael Curry bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle am 19. Mai. Die Worte von Curry hatten viele Menschen berührt und angesprochen. Für Hillebold ist diese Trauansprache das positive Beispiel einer gelungenen politischen Predigt. Sie zeige einen utopischen Horizont auf und der Prediger habe sich in ihr verletzlich und humorvoll gezeigt. Und darauf komme es an.
In den anschließenden Diskussionen wurde diese Meinung nicht überall geteilt. Die Predigt von Bischof Curry sei zwar mit dem Gestus und der Rhetorik eines Martin Luther King gehalten worden, aber im Unterschied zu diesem habe sie auf alle konkreten politischen und zeitgenössischen Aussagen verzichtet. Weitgehend anerkannt wurde Hillebolds Ansatz, auf den überheblichen und moralisierend erhobenen Zeigefinger zu verzichten und der Gemeinde eigene Entscheidungen zuzutrauen. Einen Verzicht auf politische und ethische Aussagen in Predigten wird es sicher nicht geben. Sie sind aus Verantwortung gegenüber dem Evangelium schlicht notwendig. Als ungehörige politische Einmischung werden sie sowieso meist von denen verstanden, denen die Aussagen nicht gefallen.(20.06.2018)