Ein Botschafter der Willkommenskultur
Mehmet Kirok ist Flüchtlingsberater und Integrationshelfer
Von Karl-Günter Balzer
Lahntal. Die Frau hat Blutungen bekommen. Sie ist hochschwanger und hat große Angst. Es ist Sonntagabend als das Telefon bei Mehmet Kirok läutet. Der Ehemann der Schwangeren ist dran. Auch er ängstlich – und hilflos. Was soll man da tun als Fremder in Deutschland? Kirok organisiert den Rettungswagen und ruft eine Bekannte an, die in der Klinik dolmetschen wird. Dann macht er sich selbst auf den Weg zum Klinikum auf den Marburger Lahnbergen. Dort wird er auf dem Flur warten, wird den Mann beruhigen und für ihn mit den Ärzten reden. Alles ist gut gegangen. Erst spät in der Nacht kommt Kirok nach Hause auf dem Marburger Richtsberg zurück.
Es ist oft aufregend und häufig auch ärgerlich, was Mehmet Kirok erlebt. Er arbeitet für die evangelischen Kirchengemeinden des Lahntals im Kirchenkreis Kirchhain als Integrationshelfer. Finanziert wird seine Stelle durch die öffentliche Hand, Kirchenkreis und Kirchengemeinden. Eine Zuwendung durch die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck macht es möglich, dass Kirok nach Tarif und nicht nach Mindestlohn bezahlt werden kann.
Es war irgendwo in Russland. Auf einer Waldlichtung hielt die Gruppe an. Die Schlepper erklärten, dass sie in Deutschland angekommen seien, verlangten ihr Geld und bekamen es. Dann ließen sie die Leute allein zurück. Kirok hörte diese Geschichte von Bekannten. Er war selbst ein Flüchtling. Ihm war es besser ergangen. 13 Jahre alt war Memhet Kirok als er 1992 in Deutschland ankam. Im türkischen Kurdistan war es nicht mehr auszuhalten. Über Bulgarien, Rumänien, Russland und Polen kam er nach Deutschland. Oft war er zu Fuß unterwegs, manchmal wurden sie auch in Autos transportiert. Er ist nach drei Monaten in Deutschland angekommen. Die kriminellen Methoden der Schlepper machen ihm noch heute zu schaffen. „Die haben kein Mitleid, denen geht es nur um Geld. Was mit den Menschen passiert, das ist denen völlig egal!“, erregt er sich.
Auch der Umgang mit deutschen Behörden ist nicht immer einfach. Kirok kann es nicht verstehen, dass Asylbewerber häufig wegen Nichtigkeiten einbestellt werden, obwohl sie kaum wissen, wie sie zu den jeweiligen Ämtern kommen sollen. Das System des öffentlichen Nahverkehrs wird häufig nicht verstanden. Wenn Kirok dann in seinem gebrauchten Siebensitzer die Leute transportiert und zum Termin begleitet, wird er manchmal auch selbst nicht unbedingt freundlich behandelt. Was er denn wolle, das sei er schon öfter gefragt worden. Sein Hinweis, dass er als Flüchtlingsbetreuer in öffentlichem Interesse handele, sei dann schon hin und wieder hilfreich gewesen. Ein Ausweis des Pfarramtes Sterzhausen soll in Zukunft den Dialog mit den Behörden erleichtern. Diese Idee hat Kirok zusammen mit Ralf Ruckert, dem Pfarrer der Kirchengemeinde, entwickelt.
Dass Kirok Moslem ist, ist für die Evangelischen Kirchengemeinden kein Problem. Ganz im Gegenteil. Ruckert sieht dies augenzwinkernd als „Zusatzqualifikation“, die Türen öffnet. Kirok selbst bezeichnet sich als liberalen Moslem, erzählt von seiner großen Familie im kurdischen Teil der Türkei, zu der sowohl Christen als auch Muslime gehören. „In meiner Familie haben wir Multikulti.“, grinst er. Mit dem angeblichen Islam des IS und anderer fundamentalistisch-radikaler Gruppen hat er nichts im Sinn. Er sieht das Friedensstiftende in den Religionen. Und da Ruckert und Kirok sich beide als tolerante Menschen sehen, verstehen sie sich auch hervorragend miteinander.
Es waren die Bomben des syrischen Diktators Assad, die Marwan Hussein und seine Familie aus Kobane vertrieben. Jetzt leben sie im Pfarrhaus in Caldern, das seit der Vereinigung der Kirchengemeinde mit den Sterzhäuser Nachbarn leer steht. Die Husseins fühlen sich wohl hier. Nach anfänglicher Skepsis von beiden Seiten ist eine gute Nachbarschaft entstanden. Die Calderner haben praktisch geholfen, denn es fehlte ja fast alles. Töpfe und Geschirr, Betten, Möbel und Decken wurden gespendet. Und der ehemalige Calderner Pfarrer ließ großzügig noch seine relativ neue Küche im Haus. Auch die Husseins haben Schritte auf die Nachbarn zugetan. Die freuten sich als während einer Krankheit plötzlich vor dem Haus der Schnee geräumt war. Zwei Frauen nehmen mittlerweile an der Damengymnastikgruppe im Ort teil. Und Pfarrer Ruckert freute sich, dass bei seiner Einführung und beim Adventsmarkt der Kirchengemeinde die Flüchtlinge sich mit Köfte, Börek und anderen kulinarischen Köstlichkeiten am Fest beteiligten.
All dies hat auch mit dem Wirken von Mehmet Kirok zu tun. Und das ist die eigentliche Aufgabe des Integrationshelfers: Die Menschen zusammenbringen und ihnen helfen, anzukommen. Aber sowohl Ruckert als auch Kirok ist klar, dass dabei die Hilfe zur Organisation des Lebens unerlässlich ist und die Grenzen zwischen Sozialarbeit und Integrationsarbeit fließend sind.
Marwan Hussein hat einen Brief mitgebracht, den er nicht verstehen kann. Kirok übersetzt und hilft die Antwort zu formulieren. Er spricht Türkisch, Kurdisch und Deutsch, auch Arabisch geht, aber hier holt er sich oft Hilfe von anderen Flüchtlingen. Regelmäßig hat Kirok Sprechstunden im Begegnungscafé der Kirchengemeinde Goßfelden. Dorthin kommen die Asylbewerber mit ihren alltäglichen Anliegen und zum Deutschunterricht. Zur Zeit sind etwa hundert Asylsuchende in den Gemeinden des Lahntals untergebracht. Kirok hilft bei Briefen, Lebensläufen, Krankmeldungen und Anträgen. Er begleitet zu Arztterminen und Behörden. Und er hilft bei der Kündigung von Strom- und Telefonverträgen, die respektlose Vertreter den Flüchtlingen aufschwatzen.
Vieles kann auch Mehmet Kirok nicht lösen. Er besucht er die Familie Jomaan zu Hause in Goßfelden. Es wäre gut, wenn der 10-jährige Sohn und die 8-jährige Tochter in die Schule gehen könnten. Aber die Anmeldung an der Gesamtschule in Wetter ist kompliziert. Und noch immer wartet die Familie auf die Gesundheitszeugnisse. Für die 4-jährige Tochter wäre es gut, in den Kindergarten zu gehen zu können. Aber die Kita in Goßfelden ist voll und den Weg in den Nachbarort mit dem Fahrrad fahren zu sollen, ist bei den Wintertemperaturen wenig sinnvoll. Aber das sind für die Familie Jomaan vergleichsweise kleine Probleme. Auch sie sind aus dem syrischen Kobane geflohen. Nicht vor Assads Bomben, sondern vor dem Terror des IS. Wenigstens sind sie jetzt in Sicherheit. Und in Mehmet Kirok, den Pfarrern und all den ehrenamtlichen Helfern, bei den Menschen in den beiden Kirchengemeinden haben sie überaus freundliche Aufnahme gefunden.