Kirche mal anders

 

Der Upländer Pilgerweg verbindet zwei besonders gestaltete Gotteshäuser

 

Von Karl-Günter Balzer

Schwalefeld/Rattlar. Wasserrauschen. Das klingt gut. Nach Erfrischung. Die ersten drei Kilometer des Pilgerweges herüber von Willingen sind geschafft. In Schwalefeld nun noch ein Aufstieg über Treppen. Und dann steht da eine moderne Kirche, die von außen nichts Außergewöhnliches verheißt. Aufmerksamkeit weckt das Schild Pilgerkirche und das Geräusch fließenden Wassers vom Eingang her.

 

Wer eintritt kommt in einen ganz besonderen Raum. Ein Brunnen auf der linken Seite lädt ein zu einem persönlichen Gottesdienst, rechts findet der Wanderer erfrischendes Trinkwasser. Und dann geht er hinein in einen Kirchenraum, der anders ist als gewohnt. Leise Gitarrenmusik erklingt und über zwölf Stationen wird der Besucher durch die Kirche geleitet. Jede Station entspricht einem Element im Ablauf des Gottesdienstes: ein Pilgerweg im Pilgerweg.

 

Es ist ein Glück, dass es diese Kirche gibt. Und es ist ein Glück, dass es sie im Jahr 2016 immer noch gibt. Denn eigentlich war das alles nur ein auf drei Wochen angelegtes Projekt im Jahr 2009. Damals fand in Willingen der Deutsche Wandertag statt. Die evangelische Kirchengemeinde Schwalefeld gestaltete mit dem kreativen und umtriebigen Pfarrer Ulf Weber und einer Projektgruppe die Kirche zur Pilgerkirche um. Das war ihr Beitrag zum Willinger Großereignis. Es sollte nicht bei drei Wochen bleiben. Die vielen Menschen, die kamen und kommen, ließen den Gedanken, das Projekt nach so kurzer Zeit wieder zu beenden, in weite Ferne schwinden.

 

Jährlich kommen 10000 bis 12000 Menschen in diese Kirche. Webers Nachfolgerin, Pfarrerin Katrin Schröter, kann das nur anhand der Kerzen schätzen, die an der Fürbittstation entzündet werden. „Gerade habe ich wieder 10000 Teelichter bestellt.“ erzählt sie mit einem Lächeln. Auch für Schröter selbst war diese besondere Kirche der Anlass, sich auf die Pfarrstelle zu bewerben. Zusammen mit den engagierten Kirchenvorsteherinnen und einem Küster sorgt sie mit immer wieder neue Ideen für die Gestaltung des Kirchenraumes.

 

Auf einem runden Tisch liegen Bibeln in unterschiedlichen Übersetzungen und laden zum Blättern und Lesen ein. An einer Klagemauer können Zettel mit persönlichen Gebeten zwischen die Steine gesteckt werden. Ein Zeltpavillon lädt zum Sprechen und Hören des Vaterunsers ein. In die  Hackschnitzel, die den Pilgerweg im Raum gestalten, ist das Wort „Segen“ eingeschrieben – lesbar erst beim Verlassen des Kirchenraumes als letzte Station.

Vor der Kirche setzt sich der andere Pilgerweg fort. Zunächst geht es hinunter ins Tal nach Schwalefeld und dann auf der anderen Seite wieder hinauf in den Wald. Tafeln tauchen am Wegrand auf. Bibelverse und meditative Gedanken laden dazu ein, über die Spuren Gottes im eigenen Leben nachzudenken, zu danken, zu bitten. Auf wunderschönen Wegen geht es bergauf. Bänke laden zum Ausruhen ein. Schließlich öffnet sich der Wald und im Tal liegt verträumt und idyllisch das kleine Rattlar.

 

Auch hier gibt es eine Pilgerkirche, die besonderes verheißt: die Lichterkirche. Doch auf den ersten Blick ist da nichts, was auffällt. Ein ganz normaler Kirchenraum mit Bänken - ansprechend, aber so kennt man das. Auffällig ist lediglich dieser berührungsempfindliche Bildschirm nahe am Eingang, mit dem die Besucher begrüßt werden.  Ein Tastendruck: Das Licht ändert sich- ein warmes Gelb wie ein Sonnenaufgang. Meditative Musik erklingt. Eine angenehme sonore Stimme lädt einen zum Verweilen ein.  Wow, das ist schön! Noch ein bisschen den Bildschirm ausprobieren: da sind verschiedene Stimmungen z. B. Freude oder Trauer oder Wut. Hinter jedem Tastendruck wartet eine neue Lichtfarbe, eine andere Musik, ein anderes Wort des Trostes oder der Ermutigung.

 

„Die Kinder mögen am liebsten den Regenbogen“, lacht Kirchenvorsteherin Tonja Hochmanski.  Auch im Kindergottesdienst und im Gottesdienst der Großen oder bei Taufen und Trauungen wird mit verschiedenen Lichtern die Kirche illuminiert. Und offensichtlich wird auch diese Kirche von vielen Pilgern besucht, die hier ihren ganz persönlichen Gottesdienst gestalten können. Das Gästebuch lässt auf ähnliche Zahlen wie in Schwalefeld schließen.

 

Es sind zwei Kirchen an diesem Pilgerweg, die neue Möglichkeiten erschließen, den Kirchenraum zu erleben und den Gottesdienst zu feiern. Und diese Erfahrung lässt die Menschen nach Schwalefeld und Rattlar kommen. Manchmal sind es Busse, manchmal auch Motorrad-Clubs; das Team der Tschechischen Skispringer hat nach dem Weltcup in Willingen einen Gruß hinterlassen. Gerne gestaltet Pfarrerin Schröter eine Andacht. Andere kommen alleine oder in kleinen Gruppen. Und viele kommen wieder. „Immer wieder einmal lesen wir in den Gästebüchern, dass Menschen, die eigentlich nicht mehr viel mit dem Glauben anfangen konnten, nach einem Besuch in diesen Räumen wieder in die Kirche eintreten wollen.“,  erzählt Kirchenvorsteherin Sabine Jäger (19.08.16)

 

Weitere Informationen:

www.urlauberseelsorge-willingen.de