„Eine Friedenshoffnung, die über diese Welt hinausgeht“

 

Bischof Hein besuchte die Gemeinschaft der Russlanddeutschen in Stadtallendorf

 

Von Karl-Günter Balzer

Gemeinschaft im Gebet (Foto: Karl-Günter Balzer)
Gemeinschaft im Gebet (Foto: Karl-Günter Balzer)

Stadtallendorf. „Da ist es schön“, singen sie. Gemeint ist der Himmel. Und der erste, dem sie dort begegnen wollen, das ist Jesus Christus. Sie singen es mit einem tiefen und volkstümlichen Glauben und in einem Deutsch, das aus einer weiten Vergangenheit und einer großen Entfernung herüberklingt. Die lutherische Gemeinschaft der deutschen Spätaussiedler in Stadtallendorf hat sich ihre eigenen Traditionen bewahrt. Regelmäßig trifft sich die kleine Gemeinde in der Herrenwaldkirche. Und jedes Jahr im Advent kommt Bischof Prof. Dr. Martin Hein aus Kassel zu Besuch.

 

So war es auch am vergangenen Samstag, dem 30. November, am Vorabend zum 1. Advent. Der hohe Besuch aus Kassel wird überaus herzlich begrüßt. Das Bischofsamt lässt die alten Damen auch nicht vor einer innigen Umarmung zurückschrecken. Hein genießt das Wiedersehen offensichtlich. Vor der Übernahme des Bischofsamtes hat er sich in den 90er Jahren intensiv um die damaligen Zuwanderer aus Sibirien, Kasachstan und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gekümmert. An gemeinsame Freizeiten, Gottesdienste und Seelsorge erinnert er sich gerne. Und als Hein 2000 Bischof wurde, hat er versprechen müssen, dass er einmal im Jahr vorbeikommt, wenigstens im Advent. Und das hat der Bischof gehalten; auch 2013.

 

Hein erzählt von seinem jüngsten Besuch in Kirgisien und der schwierigen Situation der Christen in diesem Land. Angesichts einer aggressiven muslimischen Mission hat das Land sehr strikte Religionsgesetze erlassen, die jedes öffentliche Auftreten der verschiedenen Glaubensgemeinschaften sehr erschwert. Das trifft alle, auch die Christen. Später wird die Gemeinschaft in ihrem Gottesdienst an die Geschwister in Kirgisien denken und für sie beten.

 

Im Gottesdienst predigt Bischof Hein über die immer wieder zugesagte Friedensbotschaft des Evangeliums. Er fragt, ob diese Botschaft angesichts des Unfriedens in dieser Welt nicht längst zu einer leeren Formel verkommen sei. Und er fragt auch danach, was der Unfriede eigentlich koste und vernichte und welche Möglichkeiten entstünden, wenn das Geld nicht für Rüstung ausgegeben würde. Gleichzeitig fragt er, ob ohne die Friedenshoffnung des Evangeliums nicht der Tod gewonnen habe. Dagegen bekennt er: „Uns wird eine große Hoffnung geschenkt, die über die Perspektiven dieser Welt hinausgeht.“

 

Die Verbundenheit mit dieser kleinen Gemeinschaft scheint auch bei anderen groß zu sein. Gerne kommen ehemalige Aussiedlerbeauftragte und Pfarrer zu diesem Treffen dazu. Pfarrer Helmut Golin hat den Weg nach Stadtallendorf gefunden und auch der ehemalige Gemeindepfarrer der Herrenwaldkirche Rainer Bickert ist wieder da. Beide erzählen von den Traditionen der Gemeinde, verschweigen auch nicht, dass sich Ortsgemeinde und Aussiedlergemeinschaft oft fremd und befremdet gegenüberstanden. Pfarrerin Dr. Gudrun Neebe hat sich ebenfalls als Beauftragte um die Spätaussiedler gekümmert. Heute weckt sie Lust und Freude zu einem anderen Advent mit einer täglichen Besinnung auf biblische und meditative Texte und die Lieder des evangelischen Gesangbuches oder des Gemeinschaftsgesangbuches, das hier noch immer verwendet wird.

 

Rudolf Martens hat sich über zwanzig Jahre als ehrenamtlicher Leiter der russlanddeutschen Gemeinschaft in Stadtallendorf und Neustadt engagiert. Den Dank und die Anerkennung überbringt Bischof Hein, indem er die Dankmedaille der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck überreicht. Als Nachfolger wird Richard Kotke eingesegnet. Er freut sich über das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird und auf die Gemeinschaft und die Freude an den zukünftigen Treffen.

 

Etwas Schweres schwingt gleichwohl auch bei dieser Feier mit. Zum neuen Jahr wird die Evangelische Kirchengemeinde Stadtallendorf die Herrenwaldkirche aufgeben. Das Geld für den Unterhalt von zwei Kirchengebäuden reicht nicht. Damit verliert auch die Gemeinschaft der Spätaussiedler ihren Ort. Die Sorge, dass der Weg zur sogenannten „Notkirche“ neben der Stadtkirche für einige der meist älteren Gemeindeglieder zu weit sein könnte, schwingt mit an diesem Abend. Aber der neue Gemeindeleiter Richard Kotke ermutigt seine Gemeinschaft: „Früher in der Sowjetunion, da sind wir oft 20 Kilometer und mehr zu Fuß gegangen, um am Gottesdienst teilzunehmen. Und es war verboten! Da werden wir auch hier zukünftig beieinander bleiben.“ Die Gemeinde nickt zustimmend und so wird wohl auch im kommenden Jahr wieder ein Treffen mit dem Bischof stattfinden können.

Bildgalerie (alle Fotos: Karl-Günter Balzer)